Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit genetischen Syndromen
Etwa 70 % bis 80 % der seltenen Erkrankungen haben eine genetische Ätiologie. Deutlich mehr als die Hälfte der Betroffenen zeigt bereits im Kindesalter (erste) Symptome. Häufig haben die Betroffenen eine globale Entwicklungsverzögerung bzw. eine Intelligenzminderung. Etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit Intelligenzminderung erfüllen die Diagnosekriterien für mindestens ein komorbides psychiatrisches Störungsbild.
Bisher gibt es in der Literatur kaum detaillierte Informationen zum kinder- und jugendpsychiatrischen Phänotyp von Kindern und Jugendlichen mit seltenen Syndromen. Fundierte Informationen zum zu erwartenden psychiatrischen Phänotypen könnte ein fachgerechtes psychiatrisches Assessment informieren. Basierend auf diesem könnte ggf. notwendige kinder- und jugendpsychiatrische Unterstützung frühzeitig angeboten werden. Detailliertere Angaben zur Intelligenzminderung (z. B. Schweregrad, kognitives Leistungsprofil homogen oder inhomogen), Angaben zum Krankheitsverlauf (z. B. mehrere psychotische Episoden mit Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten oder eher milder Verlauf) und zum Ansprechen auf medikamentöse, nicht medikamentöse Therapien sind für die Betroffenen und ihre Bezugspersonen hoch relevant, derzeit jedoch kaum (systematisch) erfasst. Klinisch relevant sind auch Informationen zu Medikamentennebenwirkungen. Beispielsweise ist es unter Umständen notwendig Kinder und Jugendliche aufgrund von Eigen- und Fremdaggressivität mit Neuroleptika zu behandeln. Bei einem relevanten Anteil der Behandelten kommt es unter medikamentöser Behandlung zu einer relevanten Gewichtszunahme. Die zugrundeliegenden Mechanismen der Gewichtszunahme sind bisher nicht ausreichend verstanden.
Das vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) geförderte UMEA²-Projekt Psy-GeneKids (Longitudinale, psychiatrische Phänotypisierung und multiomics Charakterisierung von Kindern und Jugendlichen mit genetischem Syndrom) hat die Verbesserung der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit genetischen Syndromen als übergeordnetes Ziel. Ein Teilprojekt fokussiert sich zunächst auf die Erhebung von Daten und das Sammeln von Biomaterial (Stuhl-, Blut-, und Speichelproben) in Hinblick auf die Gewichtsentwicklung unter Neuroleptikabehandlung. Ziel ist die Identifizierung von Adipositas-assoziierten, biologischen Profilen, welche mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer relevanten Gewichtszunahme unter Neuroleptikabehandlung assoziiert sind. Im Längsschnitt wird das Mikrobiom ausgewählter Patientinnen und Patienten mit und ohne Neuroleptikabehandlung mittels Shotgun Metagenomics Analyse sequenziert. Die identifizierten Profile geben ggf. einen Einblick in die biologischen Mechanismen, welche der Gewichtszunahme zugrunde liegen.
PD Dr. med.
Franziska Degenhardt
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters